Nach vielen Nepal- Aufenthalten mit Besteigung des Mera Peak 6437 Meter und mehreren Alaska-Expeditionen zum Mount Mc Kinley 6190 Meter, sowie der Besteigung des Kilimanjaro 5895 Meter in Tansania. wollte Roland Losso endlich wieder einmal nach Südamerika. Der langgehegte Traum hieß diesmal: Aconcagua in Argentinien (6962 Meter)
Aconcagua, der höchste Berg Süd- und Nordamerikas
Lange Zeit war Roland Losso nicht mehr in Südamerika gewesen, seit der Exkursionen damals in Perú, Ecuador und Brasilien waren tatsächlich einige Jährchen ins Land gezogen. Argentinien und der 6962 Meter hohe Aconcagua in den Anden war also Neuland und diesmal das erklärte Traumziel. Der höchste Berg Süd- und Nordamerikas hat einiges an Herausforderungen zu bieten. Insbesondere seine nicht zu unterschätzende Höhe und letztendlich sein berühmt – berüchtigtes Klima mit den scharfen Winden, den tiefen Temperaturen und den weiten Weiten, bietet der Aconcagua immer wieder auch den geübtesten Bergsteigern seine Stirn.
Mendoza
Im November 2015 war es soweit. Erneut hatte sich eine kleine Gruppe rund um Roland Losso geschart. Mit Sepp Leitner, Silvia Gabloner und Helene Lanthaler aus Vals sowie Günther Pircher aus Lana, und somit allesamt Südtiroler, ging es auf die große Reise von Mailand nach Südamerika. Mit im Gepäck auch die rund 150 kg Ausrüstungsgegenstände. Das Team flog diesmal über Brasilien nach Argentinien. Und schließlich war Mendoza das Endziel der motivierten Truppe. Diese Stadt liegt auf 707 Metern Höhe am Fuße der Andenkordelliere und hat rund eine Million Einwohner. Das Klima ist rau, trocken und sonnig. Doch die Temperaturen zeigten sich immer noch mäßig. Mendoza gilt als hervorragendes Ausgangsziel für die zahlreichen internationalen Expeditionen auf den Aconcagua.
Am 20. März 1861 wurde Mendoza durch ein starkes Erdbeben fast völlig zerstört, ein Drittel der Einwohner musste damals ihr Leben lassen. Daraufhin hat die Stadtverwaltung beschlossen, die Gebäude ab sofort erdbebensicher wieder aufzubauen. Deshalb präsentiert sich Mendoza, die sich den Beinamen „Stadt der Sonne und des guten Weines“ zugelegt hat, heute wohlweislich Gebäude, die nicht mehr als zwei Stockwerke vorweisen. Und siehe da: Diese Entscheidung hat sich bezahlt gemacht. Als im Jahre 1965 ein weiteres großes Erdbeben die Stadt heimsuchte, blieben in Mendoza fast alle Häuser stehen und auch sonst gab es kaum Opfer zu beklagen.
Heute wird in Mendoza Wein, Obst und Gemüse angebaut und diese Betriebsamkeit sorgt für ein gutes Einkommen der Bevölkerung. „Wir waren angenehm überrascht von der Dynamik der Stadt“, sagt Roland. Es gab immer eine angenehme Atmosphäre, gutes Essen und nette Leute, die uns jederzeit unterstützten. Das Weinbaugebiet par excellenze bietet auch allerhand Weine zur Verkostung an.“ Auch sonst war das Team von einigen Dingen freudig überrascht worden. Die Bevölkerung trat den Gästen freundlich lachend und willkommen heißend entgegen. Die Atmosphäre war stets liebevoll und entspannt. Selbst zu den Straßenhunden scheint die Bevölkerung ein gutes Verhältnis zu haben. „Selten habe ich so gut genährte und freundliche Straßenhunde erleben können wie in Argentinien“, sagt Roland, der viele Monate im Jahr in Thailand lebt und deshalb mit einer ganz anderen Realität konfrontiert wird. Einer grausamen Realität. In Asien werden Hunde auch heute noch behandelt wie Gegenstände und sogar noch getötet und verspeist. Davon war in Argentinien gottlob keine Spur.
Der erste Schock
Die Tage in Mendoza flogen dahin mit sehr gutem Essen, Trinken und Wohlfühlen. Steaks zart wie Butter, sind die Lieblingsgerichte der Argentinier. Ein sauberes und aufgeräumtes Land scheint Argentinien zu sein, wenn man es nicht besser wissen würde. Die Politik hat es an den Rand der Staatspleite getrieben.
Zwar versuchen die Menschen dies auch hier zu verdrängen und immer noch sehr lazy zu leben, doch man sieht dem Land an, dass es zunehmend verarmt. Nichtsdestotrotz traf sich das Team mit der Organisation, die bereits daheim kontaktiert worden war. Hier folgte nun der erste Schock. Roland Losso; „Man hat uns klargemacht, dass der Aconcagua bis auf Weiteres gesperrt sei, das heißt, es würde keine Genehmigungen für eine Besteigung geben. Der Winter sei dieses Mal auf eine dermaßen heftige Weise hereingebrochen, und obwohl nun Anfang November endlich der Frühling ins Land ziehen sollte, war ein Ende nicht in Sicht.
Es sei für jedermann gefährlich, auch nur an eine Besteigung des Berges zu denken. Die Bestürzung im Team war entsprechend groß. Was tun? Die Truppe hatte nur eine begrenzte Zeit, keiner konnte wochen- oder gar monatelang hier ausharren. Alle mussten irgendwann zurück zur Arbeit daheim, zu den Familien, zu was auch immer. Jeder hatte seinen inneren Plan.
Also begann die Suche nach Alternativen. „Wir haben alle möglichen Varianten durchdacht“, doch etwas wirklich Konkretes fiel uns nicht ein“, erzählt Roland. Das örtliche Tourismusbüro indes erteilte bald schon weitere Informationen. Die Truppe traf dort auf andere Bergsteiger und diese berichteten von der Öffnung einer einzigen Route zum Berg. Die Organisation „Inkatour“ konnte schließlich weiterhelfen. Welch ein Hoffnungsschimmer. Das Permit, der Preis für die Lasttiere, alles musste nun in Windeseile in Argentinische Pesos bezahlt werden. Bald schienen sämtliche bürokratischen Hürden überwunden und nach einigen weiteren Formalitäten konnte es tatsächlich losgehen. Mit dem Shuttlebus fuhr die bunte Truppe hinauf zum Ausgangspunkt Richtung Chilenischer Grenze. Welch ein beeindruckendes Naturschauspiel sich da bot zwischen all den bewässerten Feldern und der trockener Steppe, lässt sich in Worte gar nicht beschreiben.
Der Berg selbst wird von den Inkas „der weiße Wächter“ genannt und er galt einst als höchst heilig. Heute stellt er für zahlreiche Bergsteiger der Welt eine besondere Herausforderung dar. Roland: „In Horcordes haben wir tags darauf unsere Eselstruppe getroffen, die unser Hochgebirgsgepäck bis auf die Placa de Mulas auf 4300 Meter bringen sollte. Welch eine Erleichterung, dass wir diese Tiere als Verbündete hatten.“
Wir steigen auf
Fortan begleitete warmer Sonnenschein die Gruppe. Tag und Nacht war überdies ein (noch) angenehmer Wind zu spüren. Das erste Ziel hieß nun Confluenza auf 3300 Metern Meereshöhe. Dort akklimatisierte sich das Team. Die Stimmung war gut und alle waren hochmotiviert. „Wir wollten diesen Berg schaffen, trotz der nicht besonders guten Prognosen“, so Roland. Diese Expedition gestaltete sich völlig anders als alle Nepal-Expeditionen vorher oder ein Besteigung des Kilimanjaro. Dort sorgen Sherpas oder Träger für das Wohlbefinden der Expeditionsteilnehmer, in Argentinien ist man auf sich allein gestellt. Diesen Zustand kannte Roland Losso bereits von Alaska und anderen Teilen der Welt. Den Komfort von Nepal oder Afrika gibt es nicht überall. Und wenn, dann kostete es sehr viel Geld. Auf dem Weg zum Aconcagua muss man sich die Zelte selber aufbauen, selber kochen, die Verantwortung für sich und die Unternehmung voll und ganz selbst übernehmen.
Selbstverständlich gibt es auch die Möglichkeit, sich die Expedition zur Gänze organisieren zu lassen, dann kann man sich zum gedeckten Tisch setzen, das Zelt ist beheizt und der Komfort ist entsprechend. Rolands Credo aber ist nach wie vor, die Kosten so gering wie nur möglich für alle zu halten, und das Abenteuer immer zuvorderst zu stellen. So sollte also auch hier jeder für sich selber sorgen und die Verantwortung übernehmen. Dass all dies mitunter an Nerven und Gemüt zehrt, war unter diesen Umständen quasi vorprogrammiert.
Keiner ist da, der sagt wo es langt geht. Man ist ganz und gar auf sich allein gestellt. Nicht jeder kann das. Es stellt eine besondere Herausforderung dar, der nicht jeder gewachsen ist. Das zivilisierte Leben hält fast immer irgendwem bereit, dem man die „Schuld“ für irgendetwas geben kann. Hier oben in der Einsamkeit der Bergwelt, in der Einöde, in der Natur, gibt es plötzlich keinen mehr, der einem das Leben abnimmt. Jeder kämpft und lebt für sich allein. Das Leben auf dem Weg zum Aconcagua spielt sich sehr viel rauer ab, jeder ist auf sich allein gestellt. Was zählt sind Durchhaltevermögen, Freundschaft und Gemeinschaft. Dies alles schafft man für sich selber und mit den anderen im Team. Der Alltag kann sehr hart und einsam sein. Draußen pfeift der Sturm. Und morgen geht es weiter. Wenn überhaupt.
„Was mich auf dem Weg zum Berg besonders fasziniert hat“, so Roland Losso, „war die unglaubliche Vielfalt der Farben, jeder Stein leuchtete in einem anderen Licht, jede Schicht der Erde war mannigfaltig und bunt und ganz besonders am Abend, in der Dämmerung. spiegelte sich die Natur in unglaublicher Pracht wider. Auch die Einsamkeit und die Ruhe dieser Welt fernab jeder Zivilisation sind Balsam für die gehetzten europäischen Seelen. Hier gilt es abschalten, einkehren und entspannen. Nichts störte die Leere dieser Tage, dieser Abende. Einzig die Gauchos, die vormittags mit den Mulas herbeieilten, machten ihren ganz eigenen Radau, der sich der Einöde dieser phantastischen Bergwelt anpasste.
Vom Sturm am Aconcagua, vom Aufgeben und vom Weitergehen
„Auf der Placa Francia auf 4100 Meter stand uns zum ersten Mal die mächtige Südwand des Aconcagua gegenüber. Wir waren überwältigt. Im Gegensatz zu unseren europäischen Bergen, sind in Südamerika die Südwände vergletschert und sehr viel schwieriger zu besteigen als die Nordwände“, erzählt Roland. Es ist dies eine sehr bemerkenswerte Erkenntnis. Hier laufen die Uhren anders. Es ist eine verkehrte Welt. Dieser eine Tag war aber nur zum Akklimatisieren gedacht, denn bald darauf wurde wieder abgestiegen bis zur Placa Confluenza. Allen erging es gut und alle hatten diese Phase phantastisch überstanden. Obwohl der darauffolgende Gewaltmarsch entlang des Rio Concordes nicht unbedingt ein Spaziergang wurde und die Bergsteiger am Ende des Tages nach 20 Kilometern Fußmarsch fix und fertig waren, freuten sie sich unendlich am Placa de Mulas angelangt zu sein.
Die Placa de Mulas ist der Ausgangspunkt aller Expeditionen zum Aconcagua. Hier gibt es ein Internetzelt, wo ein letzter Anruf an die Lieben irgendwo in der Welt getätigt und der Wetterbericht abgerufen werden kann. „Unsere Prognosen standen außergewöhnlich schlecht“, so Roland. Für die nächsten Tage standen Sturmgeschwindigkeiten bis zu 180 KMH bevor. Das war mehr als ernüchternd. Was tun? Abwarten und Tee trinken? Angreifen? Alles irgendwie sinnlos. Die Truppe überlegte hin und her, das Wetter verschob sich ständig. Alle paar Stunden gab es andere Berichte. El Ninio ist in Chile nichts Ungewöhnliches, doch ein Sturm in diesem Ausmaß? Die Nerven waren angespannt wie Drahtseile. Warten. Immer wieder Warten. „Uns rann die Zeit davon, doch wir hatten bei diesem Sturm keine Chance den Gipfel in Angriff zu nehmen“, so Roland.
Das war der Moment, in dem sich zwei Mitglieder von der Gruppe verabschiedeten. Sepp und Helene sahen für sich keinerlei Gründe mehr, das Weitergehen war für sie unmöglich geworden, und waren sie auch längst schon zermürbt von den Geschehnissen. Der starke immerwährende Wind, die enorme Kälte, das Ausharren in den Zelten, die Einöde und damit die hohe psychische Belastung, all das war wohl zu viel gewesen. Dies hier war keine berechenbare Pauschalreise, sondern gewaltige Wirklichkeit. Sepp und Helene beschlossen die Expedition abzubrechen.
Doch Roland, Silvia und Günther wollten dem Berg noch einmal die Stirn bieten. Zwei Tage warteten die drei Bergsteiger bei mörderischen Temperaturen und Windgeschwindigkeiten bis zu 120 Kmh im Zelt auf bessere Zeiten. „Wir haben tatsächlich ab und zu gedacht, jetzt fliegen wir gleich den Berg hinunter“, so Roland. Am dritten Tag legte sich der Wind dann endlich etwas, Roland aber hatte zwei Nächte kein Auge zugetan. Er beschloss etwas tiefer zu steigen, um sich zu erholen, während Silvia und Günther bis auf eine Höhe von 6000 Meter weiterkämpften. Auch hier war der Sturm ihr ewiger Begleiter. El Ninio fegte alles über die Anden hinweg was ihm im Wege stand. Nach ein paar Tagen mussten die Bergsteiger einsehen, dass es auch für sie sinn- und zwecklos war, weiter zusteigen. Unbeschadet konnte man unter diesen Umständen auf gar keinen Fall auf den Gipfel des Aconcagua und wieder zurück gelangen. Die Expedition wurde abgebrochen.
Die Grenzen des Daseins
In dieser Saison konnte bis zu diesem Zeitpunkt nur ein einziger Bergsteiger bis zum Gipfel vordringen. Alle anderen mussten zeitig umkehren, um ihr Leben zu retten. Nicht die Höhe, sondern die Witterungsbedingungen zwingen sehr viele Bergsteiger am Aconcagua zum Umkehren. Während Sepp und Silvia längst die Heimreise nach Südtirol angetreten hatten, waren Günther, Silvia und Roland noch tagelang mit dem Abstieg ins Tal beschäftigt. „Es war eines meiner bemerkenswertesten Erlebnisse in meinem Leben“, wird Silvia später erzählen. Der Kampf mit den Gewalten der Natur, mit dem Berg, alleine im Zelt mit sich selbst und seinen Gedanken, all dies sind Erfahrungen, die prägen, die stark machen, die einem niemand mehr nehmen kann“. Obwohl nur wenige hundert Meter zum Gipfel fehlten, war das Erlebnis für Silvia „einmalig und einzigartig“, erzählte sie später und wieder in Sicherheit. „Noch nie bin ich so an die Grenzen meines Seins gestoßen“, sagt sie. Günther und Roland hat der Berg auch einigermaßen zugesetzt, und auch sind sie sind erneut stark und gereift aus dem Abenteuer hervorgegangen. Nach dem Eintreffen in Mendoza und der Wiedersehensfreude, war sich der Rest der Truppe einig: Es wird sicher ein weiteres Mal ein Abenteuer Aconcagua geben. Bis dahin ist der Weg ist das Ziel.
Liebe Christine, ein wirklich toller Bericht über die Aconcagua Expedition. Schade, dass es nicht bis zum Gipfel gereicht hat, aber das gehört eben zum Bergsteigen dazu und war definitiv eine gute Entscheidung!